Kontroverse um die Erstbesteigung des Tödi vor 200 Jahren

Keystone-SDA
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Glarus 04.09.2024 - 09:40

Die Erstbesteigung des höchsten Glarner Bergs Tödi löste vor 200 Jahren eine Kontroverse aus. Erst 80 Jahre später wurde diese auch bewiesen.

Bergsteiger an der Grünhornhütte am Fusse des Berges Tödi über dem Linthal im Kanton Glarus.
Bergsteiger an der Grünhornhütte am Fusse des Berges Tödi über dem Linthal im Kanton Glarus. - Keystone

200 Jahre ist es her, als zwei Gämsjäger am 1. September zum ersten Mal den höchsten Glarner Berg Tödi (3612 M.ü.M) bestiegen. Diese Erstbesteigung löste eine Kontroverse aus. Erst 80 Jahre später wurde die Erstbesteigung bewiesen. In der Zwischenzeit wurde am Berg weiter Geschichte geschrieben: Der Schweizer Alpen-Club (SAC) wurde gegründet und die erste SAC-Hütte entstand.

Man stelle sich vor, es gelingt einem eine Erstbesteigung eines bedeutenden Gipfels und niemand glaubts. So erging es den beiden Gämsjäger Augustin Bisquolm und Placi Curschellas, die 1824 unter Anleitung des Disentiser Paters Placidus a Spescha den Tödi bestiegen.

Als Beweis, dass sie die Ersten auf dem Piz Russein, dem höchsten der drei Gipfel des Tödi (Sandgipfel, Glarner Tödi und Piz Russein) waren, wollten sie ein Steinmanndli bauen, doch es gab keine Steine. Deshalb sollen sie eine Speckschwarte auf dem Gipfel liegen gelassen haben, erzählte Hansueli Rhyner vom Jubiläums-Komitee der Erstbesteigung im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Die Schwarte war schnell verschwunden. Spescha, der den beiden gesagt hatte, welche Route sie gehen sollten und ihnen mit dem Fernrohr auf den Gipfel folgte, dokumentierte die Erstbesteigung nur spärlich. In einem Brief an Johannes Hegetschweiler, Politiker und Naturforscher aus Zürich, der zu dieser Zeit schon mehrere Versuche am Tödi unternommen hatte, schilderte er die Erstbesteigung. Doch dem Schreiben wurde zunächst keinen Glauben geschenkt.

Vielmehr löste der Wetteifer um die Erstbesteigung des mächtigen Glarner Bergs eine regelrechte Kontroverse aus. Nebst dem Team rund um Pater Spescha behaupten drei Hirten aus Linthal GL 1834 die Ersten gewesen zu sein. Drei Jahre später erklimmt ein Vater-Sohn-Duo den Glarner Tödi.

Route der Erstbesteiger bis heute unklar

1853 reklamiert ein Team rund um den Professor Melchior Ulrich die Erstbesteigung des «eigentlichen Gipfels» für sich. 1861 schafft es Rudolf Theodor Simler, der spätere Gründer des SAC, auf den Piz Russein und behauptet wiederum, der Erste gewesen zu sein.

Erst 80 Jahre nach der Erstbesteigung beweisen Aussagen der beiden Gämsjäger, dass sie auf dem Piz Russein waren. Demnach sagten sie, vom Gipfel aus fast senkrecht auf die Alp Obersand geblickt zu haben. Ausserdem sollen sie im Glarnerland neun Dörfer und eine grosse Kirche sowie den Vierwaldstättersee gesehen haben. Ein Professor analysierte diese Angaben und kam zum Schluss, dass die zwei aufgrund dieser Aussicht nur auf dem Piz Russein gewesen sein konnten.

Bis heute ist nicht klar, welcher Route die Erstbesteiger folgten. Man vermutet, dass sie vom Russeintal über den Bleisasverdasfirn und die Südwestflanke aufstiegen, so Rhyner weiter. Heute geht man diese Route nicht mehr, da der Bleisasverdasfirn praktisch verschwunden ist und Felsen sowie loses Geröll einen Aufstieg erschweren.

Aktuell gibt es zwei Normalrouten: eine im Glarnerland, über die Fridolinshütte und den Bifertenfirn, und eine von Bündner Seite her von der Camona da Punteglias über die Porta da Gliems. Beide dürfen nur von erfahrenen Alpinwandernden oder mit Bergführern begangen werden, führt der Weg doch über zerklüftete Gletscher und Fels.

«Wer diesen Weg vor 200 Jahren auf sich nahm, muss eine grosse Begeisterung gehabt haben», so Rhyner. Die Kleidung und Schuhe waren damals schwer. Dennoch fand man von Pater Spescha auch eine frühere Form von Steigeisen, Tourenstöcke und einen Pickel. Heute sind die Gegenstände in einem Museum in Trun ausgestellt.

1863 wurde am Tödi die erste Hütte gebaut

Spescha war kein Unbekannter. Ihm werden einige Erstbesteigungen zugeschrieben. Unter anderem erstieg er als erster das Rheinwaldhorn (1789), den Oberalpstock (1793) und im 1801 den Piz Terri. Wegweisend für die spätere Route auf den Piz Russein dürften die beiden Erstbesteigungen der Nachbargipfel Stoc Grond (1788) und Piz Urlaun (1793) gewesen sein. Diese Touren ermöglichten ihm eine perfekte Sicht auf die spätere Route zum Piz Russein, erklärte Rhyner weiter.

Spescha schaffte es trotz mehreren Versuchen nie auf den Tödi. Bei der Erstbesteigung 1824 war er bereits über 70 Jahre alt und blieb deshalb auf der Alp Russein zurück, von wo er die beiden Gämsjäger beobachtete, die er zuvor angeleitet hatte.

Ganze fünfmal probierte es der Zürcher Mediziner Johannes Jacob Hegetschweiler. Aber auch er scheiterte. Heute ist beim Bifertenfirn die Hegetschweilerplatte nach ihm benannt.

Bei der Besteigung Simlers 1861 kam dem Dozent für Chemie und Geologie an der Uni Bern die Idee, den SAC zu gründen. Er hatte zuvor davor gewarnt, die damals boomende Eroberung der Alpen den Ausländern alleine zu überlassen, wie der SAC auf seiner Webseite schreibt.

Noch im Gründungsjahr 1863 wurde am Tödi die erste Hütte, die Grünhornhütte gebaut. Heute kann man darin nicht mehr übernachten. Eine Stunde weiter unten steht als Ersatz die Fridolinshütte.

Die Tatsache, dass der Tödi Jahrzehnte vor dem Matterhorn (Erstbesteigung 1865) bestiegen wurde, rückt die grosse Leistung der beiden Gämsjäger ins Rampenlicht. Während des Jubiläumsjahrs zeigt das Komitee deshalb zahlreiche Darbietungen. Am Abend des 1. September wird der Tödi zu Ehren der Erstbesteiger beleuchtet.

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