Vorsorgliche Umsiedlung von Brienz GR ist einmalig in der Schweiz

25 Haushalte, bestehend aus Familien, Paaren oder Einzelpersonen, ziehen eine freiwillige Umsiedlung aus dem wegen Bergsturz bedrohten Dorf Brienz in Betracht.

Ein vierköpfiges Team, beauftragt von der Gemeinde Albula, kümmert sich um deren Anliegen. Eine schwierige Aufgabe, da es in der Schweiz bisher keine Beispiele in dieser Grössenordnung gibt.
Die Kirche in Brienz GR thront seit 1519 über dem Albulatal. Daneben liegt der kleine Friedhof. Was passiert damit, wenn das Dorf wegen des drohenden Bergsturzes im Umfang von 1,2 Millionen Kubikmeter Gestein endgültig aufgegeben wird?
Die Kirche könnte einst das einzige Gebäude sein, dass in Brienz noch stehen bleibt. «Die Kirche steht unter Denkmalschutz. Das Raumplanungsgesetz gibt klare Vorgaben. Diese müssen eingehalten werden, im Sinne des Kulturerhalts», sagte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Umsiedlung, Roland Tremp im Gespräch mit Keystone-SDA.
Doch die betroffenen rund 80 Einwohnenden von Brienz plagen derzeit andere Fragen. Viele von ihnen hätten die Hoffnung nicht aufgegeben, in ihre Heimat zurückzukehren, so Tremp. Das Bergdorf ist seit vergangenem November evakuiert. Zwischendurch war es den Menschen möglich, tagsüber während vorgegebenen Zeiten in ihre Häuser zu besuchen.
Immer mehr Betroffene ziehen es inzwischen in Betracht, dauerhaft wegzuziehen. Mit 25 solchen Parteien führte die Arbeitsgruppe bereits Gespräche. Zwei Paare hätten sich bereits entschieden, zu gehen. Doch eine Umsiedlung ist nicht so einfach, wenn wegen der Naturkatastrophe noch keine Schäden verursacht wurden. In der Schweiz gab es noch nie einen vergleichbaren Fall.
Mittlerweile konnte die Gemeinde präventive Gelder nach dem Waldgesetz zusichern. Doch um diese Entschädigungen zu erhalten, müssten die, die umsiedeln wollen, zuerst ihre Häuser in Brienz abreissen. Eine drastische Massnahme, wie Tremp einräumt, doch so verlangt es das Gesetz.
«Bei Gesprächen mit den Bewohnern stiessen wir auf ein Problem: Wie sollen die Kosten für einen Neubau oder einen Umzug in eine Wohnung gedeckt werden, wenn die Entschädigung erst nach dem Abriss des Hauses in Brienz gezahlt wird?», erläuterte Tremp. Die Bündner Behörden fanden daher einen Kompromiss: Sie zahlen einen Überbrückungskredit.
Familie arbeitet bereits am Neubau in Schiers
So können die Umsiedelnden bereits jetzt mit dem Aufbau einer neuen Zukunft beginnen. Eine Familie arbeitet bereits am Neubau einer Wohnung in Schiers. Sie werden voraussichtlich die ersten sein, die im Frühjahr 2026 umziehen, erklärte Christian Wilhelm, Mitglied der Arbeitsgruppe.
Wer hingegen in das näherliegende Vazerol umsiedeln will, braucht Geduld. «Dort läuft das Verfahren zur Raumplanung, das zunächst von der Gemeindeversammlung im Oktober beschlossen und anschliessend von der Regierung genehmigt werden muss», erklärte Tremp. Frühester Baubeginn wäre 2028 – wenn alles nach Plan läuft.
Für die beiden Bauernhöfe in Brienz gelten andere Regeln als für die Wohnhäuser. Dies, weil es sich dabei um Landwirtschafts- und nicht Bauzonen handelt, so Tremp. Deren Umsiedlung werde von der landwirtschaftlichen Ausbildungsstätte des Kantons, dem Plantahof in Landquart und dem Amt für Landwirtschaft und Geoinformation begleitet. Ein Betrieb prüft derzeit den Kauf eines bestehenden Stalls, der andere plant einen Neubau.
Für das zu bewirtschaftende Land besteht aber noch eine andere Möglichkeit durch den Entwässerungsstollen. Für 40 Millionen Franken wird derzeit unter dem Dorf an dem 2,3 Kilometer langen Tunnel gebaut, aus dem Wasser aus der Landmasse abgeführt werden soll. Die Behörden erhoffen sich dadurch eine massive Eindämmung der Rutschungen. Sollte dies erfolgreich sein, könnte der Boden bei Brienz weiterhin genutzt werden.
Die Betroffenen haben bis zum 30. September Zeit, ein Gesuch auf präventive Umsiedlung zu stellen. «Wenn am Ende nur fünf Personen bleiben, ist das eine ganz andere Situation, als wenn es 20 oder 30 sind», so Tremp weiter. Durch die Umsiedlung wird sich nicht nur das Erscheinungsbild ändern, sondern auch bei der Infrastruktur im Dorf, den Wasserleitungen, der Kanalisation, den Strassen und Stromleitungen, wird es Änderungen geben.
Diese grossen Investitionskosten trägt die Gemeinde bei nur noch ganz wenigen Einwohnern. Eine Lösung für dieses Problem hat die Arbeitsgruppe noch nicht gefunden. Doch eines sei klar, betonte Tremp. «Die Erfahrungen, die wir hier sammeln, können künftig auch anderen Gemeinden in ähnlichen Situationen helfen.»